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Adventszeit – Stresszeit

Ich habe immer wieder zu denselben Zeiten im Jahr einen stressigeren Alltag. Denn jedes Jahr kommt komischerweise Weihnachten ganz plötzlich…
Zu dieser Zeit kommt meist die Familie zusammen. Weihnachten dann bzw. so kurz vor Jahresende wird den Meisten bewusst, dass sie bei der Familienfeier nicht gut hören. Dem Einen oder Anderen ist der Druck genug, um das zu machen, was er das ganze Jahr einfach nicht geschafft hat. Und einem ist es vielleicht jetzt schon anstrengend und hat im Kopf: „Familie dazu haben ist großartig, ich liebe alle, aber ich bin auch wieder froh, wenn sie alle wieder abgereist sind. Dann kehrt wieder Ruhe ein.“ Dann kommt aber auch der Druck von außen dazu und man macht sich einen Termin beim Hörakustiker. Im Idealfall sagt er mir und meiner Familie das ich ja kein Hörgerät brauche! Oder wenn nicht kann er mir ja noch schnell eins geben und ich bekomme dann am Weihnachtsessen Alles mit. Keiner um mich kann mehr sagen, hol dir endlich ein Hörgerät. Und wenn gelästert wird, bekommt man ja auch das mit.

Tja leichter gesagt als getan. Unser Gehör ist doch komplexer als man es erstmal annimmt. Wir haben mit dem Hörgerät zwar ein (Hilfs-) Mittel gefunden, um das beschädigte Ohr wieder zu verbessern. Das wirklich wichtige ist dennoch das Sprachverstehen, welches im Gehirn stattfindet.

Wenn ich dir sage: „Denke nicht an die lila Milka Kuh!“ – woran denkst du dann?

Wenn ich dir sage: „Kennst du den Duft von Weihnachts-Glühwein?“ – woran denkst du dann?

Genau daran. Wenn wir also etwas lesen, oder Hören ist unser Gehirn dafür zuständig, genau das abzurufen. Wir haben Sprachmuster, Fremdsprachen und Dialekte nur solange gespeichert und können es *blind* erkennen, wie unser Gehirn routiniert darin ist.

Du kennst es bestimmt: Du konzentriert dich auf Etwas, das Kochen, die Arbeit oder ein Telefonat und just in diesem Moment spricht dich einer an. Du bist erstmal noch weiter vertieft und hast es vielleicht nur im Hintergrund wahrgenommen, dass da einer spricht. Noch während du dich umdrehst und höflich „Wie bitte?“, sagst, verarbeitet dein Kopf das, was er im Unterbewusstsein wahrgenommen hat und dir fällt ein was gerade gesagt wurde, noch bevor es wiederholt wird.

Ja? Dann weißt du bereits, dass Alles hat erstmal noch nichts mit einer Schwerhörigkeit zu tun. Nur wie gut wir unser Umfeld wahrnehmen und wie schnell unser Gehirn Informationen abruft. So. Jetzt haben wir wegen einer Schwerhörigkeit vielleicht wirklich nur Lücken wahrgenommen. Auch das ist erstmal einige Zeit kein Problem. Unser Gehirn ist super schnell und ergänzt das Gehörte mit etwas das er vermutlich gesagt haben muss: Draußen ist es aber hell – da ist klar, dass der Satz nicht: Draußen ist es aber „fell“ war. Es fällt einem kurz auf, dass das eben keinen Sinn gemacht hat, aber unser Gehirn hat den Fehler sofort verbessert.

So jetzt kommt hier auch noch Lärm von außen dazu. Wir meinen, das es nicht zu verstehen war, weil unser Umfeld so laut ist – naja selbst wenn das stimmt, dann würde es ja nur heißen, dass unser Gehirn noch mehr Höchstleistung bringt. Denn jetzt muss er nicht nur das nicht Verstandene ergänzen, sondern sich auch noch wirklich auf den Inhalt konzentrieren! Drum sind wir dann nach einiger Zeit – manchmal nach einer Stunde, oder nach drei Stunden, erschöpft und froh wieder heimgehen zu können. Man schiebt es auf den eh schon anstrengenden Tag. Das in Wirklichkeit unser Gehirn Höchstleistung erbringen musste, weil die Informationen vom Ohr fehlerhaft, Lückenhaft war, fällt uns nicht als erster Gedanke ein.

Und jetzt machen wir da plötzlich ein Hörgerät dran. Unser Kopf, das zentrale Nervensystem und unser Gehirn muss erst wieder neu lernen mit den, jetzt richtigen, viel und lauteren Signalen vom Ohr klar zu kommen. Und die meisten wollen dann sofort besser verstehen. Aber das findet in unserem Kopf statt, nicht im Hörgerät. Auch die Zeit ist ungewiss: Wie lange wird es dauern, bis man sich an diesen ganzen Lärm und an die Geräuschkulisse Tag täglich um einen herum gewöhnt hat? Sicher ist aber, je früher desto besser. Unser Nerven funktionieren wie Muskel! Muskel kann man trainieren! Aber es dauert eben. Eine Beinmuskulatur wieder aufzubauen dauert bis zu 2 Jahre. Nach einem Gips an der Hand dauert es auch lange, selbst mit Reha, um wieder alles voll funktionsfähig zu haben. Warum geben wir unserem Kopf um sich an die Hörgeräte zu gewöhnen, um sich an das Umfeld wieder zu gewöhnen nicht auch so viel Zeit? Der Muskelabbau, bei einem gebrochenen Arm im Gips geht viel schneller als ihn wieder aufzubauen. Man macht gezielte Übungen und trainiert. Warum geben wir dem Hörgerät nicht auch die Möglichkeit wertvollen Teil der Kommunikation zu sein?
Grundsätzlich gilt auch hier: Je früher desto besser. Und leider nicht schaffbar von heut auf Morgen 😉

die_hoerakustikerin

Ich bin Hörakustik Meisterin seit 2017 und trage selbst Hörgeräte seit 2005. Das ist mein Alltag mit Lebensweisheiten für Dich. Ich gebe Dir Einblicke in die Hörakustik, um Dir das Thema transparenter zu machen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Käthe Nickel

    Sehr interessanter Text, danke für die Informationen!

  2. Dana

    Danke für deinen tollen Blog. War sehr interessant zu lesen und informativ für mich.

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